Meine teuerste Schwester.
Ich hoffe, dass Ihr Unwohlsein nicht so stark gewesen ist wie gewöhnlich; jedenfalls
bin ich entzückt, dass es vergangen ist. Sie haben wahrhaftig Pech, meine teure Schwester,
in die Provence gegangen zu sein, in einem allgemein kalten Jahr wie diesem. Ich habe
mir wohl gedacht, dass Sie diese Reise trotz Ihres Inkognitos sehr viel kosten würde.
Und ich nehme mir die Freiheit, Sie im Voraus zu warnen, dass jene nach Italien Sie
nicht weniger kosten wird. Wenn sie nur Ihrer Gesundheit heilsam sei, ist das alles,
was ich wünsche. Und ich werde mich immer an dem erfreuen, was Ihnen angenehm sein
wird und Ihnen Vergnügen bereitet. Ich muss Ihnen jedoch eröffnen, dass übel gesinnte
Menschen in ganz Deutschland das Gerücht gestreut haben, dass Sie und der Markgraf
Katholiken geworden wären. Ich habe sofort diesem Gerücht zuwider reden lassen, von
allen meinen Gesandten und Botschaftern an den auswärtigen Höfen. Dennoch, da es wesentlich
ist, um es ganz und gar schwinden zu lassen, bitte ich Sie, irgendeinen calvinistischen
Mummenschanz zu veranstalten, und ihn in die Zeitungen setzen zu lassen, vor allem
wenn Sie nach Marseille gehen, wo es einen Händler gibt, der eine katholische Kirche
bei sich hat, Wahrscheinlich spielt der König hier auf den Bischof von Marseille, François-Xavier
de Belsunce de Castelmoron (1671–1755), an. In reformiertem Glauben erzogen, konvertierte
dieser mit 16 Jahren und trat zunächst in den Jesuitenorden ein. Er äußerte sich später
sehr ablehnend gegenüber Freimaurern und zugezogenen Hugenotten, die er für schädlich
für den Handel in der Stadt hielt. {Zu den zahlreichen fremden Händlern, unter denen
sich besonders viele Deutsche und Schweitzer befanden, siehe: #158 Buti, 2012.} oder wenn Sie durch irgendeine protestantische Stadt reisen, wodurch die Übelgesinnten
zum Schweigen gebracht werden. {Siehe dazu: #107 Brief vom 17. Februar 1755.} Das Konversionsgerücht des Markgrafenpaars
korrelierte mit der erst 1754 öffentlich gewordenen, heimlich erfolgten Konversion
(1749) des in Diensten Friedrichs II. stehenden Erbprinzen Friedrich (II.) von Hessen-Kassel
(1720–1785) zum römisch-katholischen Glauben. {Cfr.: #293 Neuhaus, 2009: 139, und
cfr.: #63 Bagatellen, 2011: 124, Anm. 1.} Sie haben zu viel Güte, sich meiner und Sanssoucis bei allen Gelegenheiten zu erinnern.
Der Tisch, den Sie die Güte hatten, mir zu schicken, wird sicher einen Ehrenplatz
in meinem Hause einnehmen, und wird mir viel mehr wert sein, da er von Ihnen kommt
als wegen seiner Seltenheit. Heute haben wir mit großem Pomp den Geburtstag von Pöllnitz
gefeiert, der fünfundsechzig Jahre alt ist; der alte Baron ist kuriert und stolziert
einher wie ein junger Pfau, und heute Nacht wird er seinen Namen illuminiert sehen.
Ich mache mir einen Spaß aus jeder Art von Armseligkeit, mangels besserer Beschäftigung.
Es gibt hier keinen fremden Menschen und ich beklage mich keineswegs über meine Einsamkeit.
Ich studiere, ich lese, ich mache ein wenig Musik. Wenn man einsichtig ist, gibt man
sich mit einem ruhigen Leben zufrieden, was das Vernünftigste der Welt ist.
Ich habe aus Dresden die Oper „Ezio“ {Cfr.: #99 Brief v. 29. Januar 1755.} empfangen, deren Musik mir sehr ausgearbeitet erscheint, und worin die Instrumente
sehr viel Lärm machen, ohne dass die Stimmen im selben Maße dabei glänzen.
Sie melden mir, dass Mandrin sich in die Schweiz zurückgezogen hat. Er kann dort ein
Triumvirat mit Voltaire und Madame von Bentinck bilden. Wenn dort die Ächtung stattfinden
wird, ist mein Kopf verloren. Ich empfehle mich, meine teuerste Schwester, Ihrer kostbaren
Erinnerung, und beschränke mich darauf, Ihnen alles Gute zu wünschen, bis zu dem glücklichen
Tag, da ich Sie persönlich der unendlichen Zuneigung werde versichern können, mit
welcher ich bin,