Meine teuerste Schwester
Sie machen sich zu Recht über mich und die törichten Moralpredigten lustig, die ich
Ihnen gegenüber verkünde; aber, meine liebe Schwester, Sie befinden sich bei einem
lustigen und verrückten Volk, das Sie zu freudigen Ideen inspiriert (vielleicht sogar
unwillkürlich), ich dagegen führe das Leben eines Kartäusers in seiner Zelle. Das
ist meiner Meinung nach das, was zu unserer unterschiedlichen Denkweise beiträgt.
Ich kann Ihnen kaum Nachrichten von hier erzählen. Ich wiederhole Ihnen nicht, was
die Gazetten sagen, dass der Krieg zwischen Frankreich und England so gut wie erklärt
ist, dass es in Ungarn eine beträchtliche Revolte gibt, dass der Erbprinz von Hessen
katholisch geworden ist usw., Dinge, von denen ich denke, dass Sie sich ebenso wenig
darum kümmern wie ich. Ich gehe morgen nach Berlin, um unsere liebe Mutter zu sehen
und ihr das Fest zu ihrem Geburtstag auszurichten, das sie aufschieben will, damit
die Frömmigkeit ehrfürchtiger Seelen nicht leidet. Es wird die Oper „Ezio“ gegeben.
Diejenigen, die sie gehört haben, sagen, dass es ein Meisterwerk ist; Ich werde Ihnen
nach der Vorstellung Neues darüber berichten. Was soll ich Ihnen noch sagen? Ich lasse
in Sanssouci eine Gemäldegalerie bauen. Eine weitere Torheit, wenn Sie so wollen,
aber so ist der Lauf der Welt. Und wenn man dem Leben der Menschen nur ihre vernünftigen
Taten entnehmen wollte, wäre die Geschichte sehr kurz. Ich weiß, meine teure Schwester,
um Ihre Unterstützung und Ihr Nachsicht, das Sie für mich hegen; das macht mich so
kühn, Ihnen meine Narrheiten anzuvertrauen. [… ]Denn es gibt sie schon seit jeher, die zärtliche Freundschaft und die vollkommene
Achtung, mit welcher ich bin,